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Der letzte Wille?

BonaLifestyle-Interview mit Marius Brem (Ausgabe Dezember 2016)

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Der Erbstreit ist nicht nur ein unangenehmes, sondern auch ein kostenintensives Unterfangen. Wie Konflikte beim Erben minimiert werden, erklärt Marius Brem, Fachanwalt SAV für Erbrecht. Eines vorweg: Ein gültiges Testament kann komplexe Verhältnisse sinnvoll regeln.

bonaLifestyle: Marius Brem, im Film sind Erbgeschichten oft bitter und konfliktgeladen. Wie sieht es in der Realität, im richtigen Leben aus?

Marius Brem: Erbrechtliche Streitigkeiten sind auch in der Realität bitter. Im Gegensatz zum Film dauern sie aber nicht 120 Minuten, sondern schlimmstenfalls Jahre. Für die Beteiligten bedeutet der Erbschaftsstreit eine erhebliche Belastung, in persönlicher und oft auch finanzieller Hinsicht. Es gibt aber auch viele, unspektakuläre Fälle von gütlichen, friedlichen Erbteilungen. Überschaubare Verhältnisse erleichtern diese natürlich. Aber auch wo die Verhältnisse komplexer sind, können sinnvolle Regelungen zu Lebzeiten manchen Streit von Beginn weg vermeiden. Nicht zuletzt ist der Verlauf der Erbteilung massgeblich vom Umgang der Beteiligten miteinander abhängig. Wenn es aber hässlich wird, ist der Erbschaftsprozess die Bühne, um frühere Konflikte wieder aufleben zu lassen.

Sie haben sich eine komplexe und komplizierte Fachrichtung ausgesucht. Wann kommen Sie als Anwalt oder Notar ins Spiel?

Im Idealfall setzt sich jeder schon zu Lebzeiten damit auseinander, wie er seine Angelegenheiten auf das Ableben hin geordnet haben will. Ausgangspunkt der gedanklichen Auseinandersetzung mit diesem Thema ist die eigene Situation und das gesetzliche Erbrecht. Hier kommt vielfach mein erster Einsatz, indem ich die Regelungen des Gesetzes erkläre und mit den Klienten deren Ziele kläre. Es folgt die Umsetzung des letzten Willens in «lebzeitigen und letztwilligen Verfügungen». Wo nötig und gewünscht, bin ich auch als Willensvollstrecker tätig.

Und natürlich bei einem Erbstreit?

Auch bei bestem Willen und sorgfältiger Planung sind Konflikte nach dem Tode des Erblassers nicht auszuschliessen. Erst dann sind meine Dienste als Prozessanwalt gefragt. Wo ich aber als Notar bereits einmal involviert war, ist eine spätere Tätigkeit als Prozessanwalt ausgeschlossen.

Man sollte meinen, dass alle Leute wissen, wie ein Testament verfasst wird. Dem ist aber nicht so. Schon ein kleiner Formfehler, wie zum Beispiel ein im Computer geschriebenes Testament, kann zu Problemen führen. Was sollte unbedingt beachten werden?

Aus erbrechtlicher Sicht leidet das am Computer geschriebene Testament nicht an einem kleinen, sondern an einem groben Formmangel. Die Praxis ist nach wie vor streng. Gültige Testamente können – abgesehen vom Sonderfall des Nottestaments – eigenhändig oder durch öffentliche Urkunde vom Notar errichtet werden. Das eigenhändige Testament muss von Anfang bis Ende handgeschrieben, datiert und unterschrieben sein. Die Ortsangabe ist heute kein formales Erfordernis mehr. Die fehlende oder falsche Datierung führt nicht automatisch zur Ungültigkeit des Testaments.

Und wenn Unklarheiten entstehen?

Wenn Unklarheiten entstehen, müssen diese in einem gerichtlichen Verfahren geklärt werden. Diese Umtriebe kann der Erblasser seinen Erben aber ersparen. Der Klarheit dient auch, wenn man Nachträge zu einem Testament ausdrücklich als solche bezeichnet und aufgehobene Testamente physisch vernichtet.

Nun machen ja längst nicht alle Menschen ein Testament. Wer sollte denn unbedingt eines verfassen?

Gemäss einer deutschen Umfrage haben etwa 29 Prozent aller Deutschen über 16 Jahren ein Testament. Diese Grössenordnung dürfte auch für die Schweiz gelten. Ein Testament braucht jeder, der von der gesetzlichen Erbfolge abweichen will. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Stichwortartig können die folgenden Themen genannt werden: Begünstigung des überlebenden Ehegatten, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Kinder aus verschiedenen Beziehungen, Ausgleichung von lebzeitigen Zuwendungen an einzelne Erben, spezifische Teilungsvorschriften beispielsweise für Immobilien, besondere Wertgegenstände und Erinnerungsstücke, Sicherstellung der Unternehmensnachfolge, Vermeidung von Blockaden der Nachlassabwicklung, Neutralisierung «schwieriger» Erben oder auch Berücksichtigung gemeinnütziger Institutionen.

Und in welchem Alter sollte ein Testament geschrieben werden?

In der Schweiz ist jede urteilsfähige Person ab dem 18. Lebensjahr testierfähig. Jede Lebensphase führt auch beim Testament zu anderen Inhalten. Der Junggeselle möchte vielleicht seine Weinsammlung seinem besten Freund vermachen. Beim verheirateten Familienvater steht die Absicherung der überlebenden Ehefrau im Vordergrund. Aufgrund der laufenden Veränderung der Lebensumstände sollte auch das Testament von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand gestellt werden. Auf jeden Fall sollte man dies bei wesentlichen Veränderungen wie etwa Heirat, Geburt eines Kindes, Tod naher Angehöriger oder Scheidung tun.

Sind Testamente vor allem nötig, wenn ein beachtliches Vermögen vorhanden ist?

Nein, keineswegs. Unabhängig von der Höhe des Vermögens passt die gesetzliche Lösung einfach nicht in allen Fällen. Zum Beispiel wissen viele kinderlose Ehegatten nicht, dass die Eltern und Geschwister des verstorbenen Ehegatte einen Viertel von dessen Nachlass erhalten. Dies ist vielfach nicht gewünscht, und zwar unabhängig vom Betrag.

Ist es sinnvoll, ein Testament bei einem Notar zu hinterlegen?

Das hängt vom Wohnsitzkanton ab. Jeder Kanton führt eine Hinterlegungsstelle. Damit ist sichergestellt, dass das Testament bei Eintritt des Erbfalls an die Eröffnungsbehörde gelangt. Im Kanton Zürich sind die Notariate die Hinterlegungsstelle. In anderen Kantonen sind die lokalen Teilungsämter zuständig.

Wäre der Banksafe auch eine gute Lösung?

Nein, die Aufbewahrung in einem Banksafe ist ungeeignet. Es gibt Banken, welche zur Öffnung des Safes einen Erbschein verlangen. Dadurch kann sich die Katze in den Schwanz beissen: Ein eingesetzter Erbe erhält ohne Zugang zum Testament keinen Erbschein und ohne Erbschein keinen Zugang zum Banksafe.

Viele Familien werden durch einen Erbstreit in ihrer Stabilität erschüttert. Minimieren verbindliche Testamente diese Streitigkeiten?

Ja, auf jeden Fall. Die Erbengemeinschaft unterliegt dem Einstimmigkeitsprinzip. Verfügungen über Gegenstände des Nachlasses, beispielsweise die Zuweisung einer Liegenschaft in der Erbteilung, können nur von allen Erben gemeinsam vorgenommen werden. Ist nur einer der Erben nicht einverstanden, ist die Erbengemeinschaft blockiert. Verbindliche Anordnungen in letztwilligen Verfügungen können vorbeugen und manchen Streit gar nicht erst entstehen lassen. Bei Patchwork-Familien ist die Erbfolge oft kompliziert.

Kann eine gesetzliche Erbfolge auch manipuliert oder umgangen werden?

Patchwork-Familien können erbrechtlich anspruchsvoll sein. Die gesetzliche Erbfolge kann natürlich in den Schranken des Pflichtteilsrechts modifiziert werden. Besonders bei Patchwork-Familien ist darauf zu achten, dass die Lösung auch nach Ableben des zweiten Partners den gemeinsamen Vorstellungen entspricht. Ausserdem lauern Steuerfallen. Wenn beispielsweise die Kinder des einen vom anderen, nicht-blutsverwandten Partner erben, zahlen sie unter Umständen Erbschaftssteuern in empfindlicher Höhe.

Ist das legendäre Zitat «Ich enterbe dich» eine leere Drohung oder eine mögliche Gangart?

Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der leeren Drohung bleibt, ist ziemlich gross. Eine gültige Enterbung setzt voraus, dass der enterbte Pflichtteilserbe in wirklich schwerwiegender Weise seine familiären Pflichten verletzt oder gegen den Erblasser oder diesem nahestehenden Personen eine schwere Straftat begangen hat. Generell gilt, dass der betroffene Erblasser das Vorliegen eines Enterbungsgrundes viel eher und schneller bejaht als die Gerichte.

Es wird viel von Pflichtteilen gesprochen. Wer sind die Nutzniesser des gesetzlichen Pflichtteils?

Nach heutiger Rechtslage haben die Eltern, die Ehegatten, die eingetragenen Partner und die Kinder einen Pflichtteil. Der Nachkommenpflichtteil schliesst denjenigen der Eltern aus. Insbesondere der Nachkommenpflichtteil ist mit ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs relativ stark. Es sind derzeit aber Bestrebungen im Gange, das Erbrecht zeitgemässer auszugestalten. Gemäss dem kürzlich publizierten Vorentwurf zum neuen Erbrecht soll der Elternpflichtteil entfallen und der Nachkommenpflichtteil auf ½ der gesetzlichen Erbquote gesenkt werden. Bei einem verheirateten Familienvater beträgt heute die frei verfügbare Quote 3/8 des Nachlasses. Sollte die Revision wie vorgeschlagen zustande kommen, wird die frei verfügbare Quote neu 5/8 betragen.

Wann kann oder soll ein Testament angefochten werden?

Ein Testament kann aus verschiedenen Gründen angefochten werden. Diese reichen vom Irrtum des Erblassers bis zu dessen Urteilsunfähigkeit im Zeitpunkt der Niederschrift. Es kann aber auch sein, dass ein späteres Testament mit einem früheren Erbvertrag im Widerspruch steht. Der vom fraglichen Testament benachteiligte Erbe wird sich die Anfechtung gut überlegen müssen, da die Prozesskosten im Erbschaftsprozess nicht zu unterschätzen sind. Wer im hohen Alter plötzlich sein Testament abändert und einem fremden Menschen sein Vermögen vererbt, wird nach seinem Ableben bei den Verwandten zwar keinen Nachlass, dafür sehr viel Kopfschütteln hinterlassen. Der Erbstreit ist vorprogrammiert. Die Erbeinsetzung eines fremden Menschen dürfte eher selten sein. Häufiger ist die Begünstigung von Pflegenden oder Vertrauenspersonen. Je nachdem ist es eine berufsethische Frage, ob sie eine derartige Begünstigung überhaupt annehmen wollen beziehungsweise dürfen. Überdies gibt es Vertrauenspersonen und «Vertrauenspersonen».

Was aber ist mit einer Altersliebe, welche durchaus Pflegekomponenten haben kann?

Auch in diesem Fall können sich Nahestehende verschiedener Art und aus verschiedenen Lebensphasen des Erblassers in die Haare geraten.

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